Emily M. Bender

Emily M. Bender

Emily Menon Bender ist eine der einflussreichsten Stimmen an der Schnittstelle zwischen Linguistik und Künstlicher Intelligenz. Als Professorin für Linguistik an der University of Washington und Direktorin des Computational Linguistics Laboratory hat sie sich nicht nur durch ihre wissenschaftliche Expertise ausgezeichnet, sondern auch durch ihren unbeirrbaren Einsatz für ethische Reflexion und Verantwortlichkeit in der KI-Forschung. Ihre Arbeiten thematisieren mit großer Klarheit und intellektueller Schärfe, welche Gefahren entstehen, wenn sprachbasierte KI-Systeme ohne Rücksicht auf gesellschaftliche, kulturelle und linguistische Komplexität entwickelt werden.

Bender betrachtet Sprachverarbeitung nicht als rein technisches Problem, sondern als tief verwurzeltes gesellschaftliches Phänomen. Sie betont die zentrale Rolle von Sprachdiversität, Kontextabhängigkeit und Diskriminierung in automatisierten Systemen und fordert, dass jede Art von Sprachmodellierung diese Aspekte berücksichtigen muss. Damit hat sie nicht nur den Diskurs in der wissenschaftlichen Community geprägt, sondern auch in der Öffentlichkeit einen neuen Blick auf Sprach-KI geöffnet.

Ziel des Essays: Überblick über Benders Karriere, wissenschaftlichen Beiträge und ihre Wirkung auf die KI-Debatte

Dieser Essay verfolgt das Ziel, die Karriere von Emily M. Bender umfassend darzustellen und ihren Einfluss auf die Entwicklung, Kritik und Reflexion von Künstlicher Intelligenz, insbesondere im Bereich der Natural Language Processing (NLP), zu analysieren. Es geht darum, die zentralen Stationen ihres akademischen Werdegangs nachzuzeichnen, ihre bedeutendsten wissenschaftlichen Arbeiten einzuordnen und zu zeigen, wie sie eine ganze Generation von Forscherinnen und Forschern beeinflusst hat.

Im Mittelpunkt steht dabei die Analyse ihrer bekanntesten Veröffentlichung „On the Dangers of Stochastic Parrots“, die sie zusammen mit Timnit Gebru, Angelina McMillan-Major und Margaret Mitchell verfasste. Dieser Text gilt als Meilenstein in der kritischen KI-Forschung und brachte zentrale ethische Fragen in den Fokus einer zuvor weitgehend technikzentrierten Debatte.

Gleichzeitig untersucht der Essay, wie Benders Denkweise zur Formulierung der sogenannten „Bender’s Rule“ führte: Die Aufforderung, bei jeder Bewertung eines KI-Systems zu fragen, auf welchen Daten es trainiert wurde. Diese scheinbar einfache Regel offenbart tiefgreifende Einsichten in die Funktionsweise und Schwächen gegenwärtiger Sprachmodelle und hat sowohl in der Forschung als auch in der Praxis eine nachhaltige Wirkung entfaltet.

Relevanz: Warum ihre Positionen gerade in Zeiten von LLMs, Sprachmodellen und generativer KI entscheidend sind

Die Entwicklungen der letzten Jahre – insbesondere die rasante Verbreitung von Large Language Models (LLMs) wie GPT, Claude, Gemini und LLaMA – haben der Forschung zur Künstlichen Intelligenz eine nie dagewesene Sichtbarkeit und Dynamik verliehen. Gleichzeitig haben diese Fortschritte aber auch neue ethische, soziale und politische Herausforderungen aufgeworfen. Fragen nach Diskriminierung, Datenmissbrauch, Energieverbrauch und gesellschaftlicher Manipulation stehen zunehmend im Vordergrund.

Gerade in diesem Kontext sind die Beiträge von Emily M. Bender von herausragender Bedeutung. Ihre kritische Perspektive auf das, was Sprachmodelle wirklich leisten (und was nicht), schafft eine notwendige Gegenposition zu techno-utopischen Narrativen. Sie hinterfragt die Vorstellung, dass statistisch trainierte Modelle tatsächlich Bedeutung verstehen oder „denken“ können, und macht deutlich, wie wichtig Transparenz, Datenverantwortung und sprachliche Vielfalt für eine gerechte und nachhaltige KI-Entwicklung sind.

In Zeiten, in denen Systeme wie ChatGPT mit enormen Mengen an Trainingsdaten und Rechenleistung beeindruckende Texte generieren können, aber oft ohne jegliches Verständnis für Kontext oder Wahrheit operieren, stellt Bender die zentrale Frage: Was bedeutet es eigentlich, wenn Maschinen Sprache „benutzen“? Diese Frage ist nicht nur linguistisch spannend, sondern auch politisch brisant. Deshalb verdient ihre Arbeit nicht nur wissenschaftliche, sondern auch gesellschaftliche Aufmerksamkeit.

Akademischer Hintergrund und Karriereweg

Frühe akademische Laufbahn

Emily Menon Benders wissenschaftlicher Weg begann mit einem Studium der Linguistik an der University of California, Berkeley, wo sie eine fundierte Ausbildung in theoretischer Sprachwissenschaft erhielt. Bereits in dieser frühen Phase interessierte sie sich nicht nur für die Struktur von Sprache, sondern auch für deren kulturelle und soziale Einbettung. Nach dem Abschluss in Berkeley setzte sie ihr Studium an der Stanford University fort, wo sie sich intensiv mit Syntax und typologischer Variation auseinandersetzte – einem Themenfeld, das sie bis heute maßgeblich prägt.

In ihrer Dissertation beschäftigte sie sich mit der morphosyntaktischen Vielfalt natürlicher Sprachen und entwickelte Werkzeuge zur formalen Beschreibung dieser Unterschiede. Dabei verfolgte sie einen Ansatz, der klassische linguistische Theorie mit computergestützter Modellierung verband. Früh erkannte sie, dass die Spannbreite menschlicher Sprache nur unzureichend durch dominante Sprachen wie Englisch oder Chinesisch abgebildet wird, und setzte sich deshalb für eine umfassendere Berücksichtigung sprachlicher Diversität ein. Dieses Anliegen wurde zum roten Faden ihrer akademischen Laufbahn.

Ihre ersten Forschungsprojekte waren geprägt von einem doppelten Fokus: einerseits der präzisen formalen Analyse sprachlicher Strukturen, andererseits der methodischen Entwicklung digitaler Werkzeuge zur Unterstützung sprachwissenschaftlicher Arbeit. Schon damals zeigte sich ihre Fähigkeit, Brücken zu schlagen – zwischen linguistischer Theorie, empirischer Vielfalt und technologischer Umsetzung.

Professur an der University of Washington

Im Jahr 2003 trat Emily M. Bender eine Professur am Department of Linguistics der University of Washington (UW) in Seattle an – eine Position, die sie bis heute innehat. Dort gründete sie das Linguistic Typology Lab, das sich der systematischen Erfassung und Analyse sprachlicher Vielfalt widmet. Dieses Labor wurde rasch zu einem der führenden Forschungszentren für typologisch fundierte computergestützte Linguistik.

Unter Benders Leitung entstanden innovative Projekte zur Dokumentation seltener Sprachen, oft in Zusammenarbeit mit Muttersprachlern und indigenen Gemeinschaften. Ein zentrales Anliegen ihrer Arbeit war stets, linguistisches Wissen nicht nur theoretisch zu erfassen, sondern auch praxisnah zu nutzen – etwa durch die Entwicklung sprachspezifischer Technologien oder digitaler Ressourcen, die sowohl für Forscher als auch für Sprecher nutzbar sind.

Ihre Arbeit war dabei tief im Paradigma der dokumentarischen Linguistik verankert, das auf Nachhaltigkeit, Reziprozität und kulturelle Sensibilität zielt. Bender betonte immer wieder, dass die Digitalisierung von Sprache nicht neutral ist, sondern politische und soziale Implikationen hat – insbesondere, wenn sie in KI-Systemen Anwendung findet.

Gleichzeitig engagierte sie sich in der Lehre und prägte eine Generation von Studierenden, die die Verbindung von Sprache, Technik und Ethik als selbstverständlich betrachten. Viele ihrer Absolventinnen und Absolventen sind heute selbst in interdisziplinären Feldern tätig – von Computational Linguistics über KI-Ethik bis zur sprachpolitischen Bildungsarbeit.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Ein entscheidender Faktor für Benders Wirkung war ihre Bereitschaft, über disziplinäre Grenzen hinweg zu arbeiten. Früh erkannte sie, dass der Einfluss linguistischer Expertise auf die Informatik – insbesondere auf die KI-Forschung – deutlich gestärkt werden muss. Sie begann, mit Informatikern, Datenwissenschaftlern und Philosophen zusammenzuarbeiten, um Fragen der Modellierung, Semantik und Bedeutung auf eine solide sprachwissenschaftliche Grundlage zu stellen.

Ihre Projekte verbanden formal-linguistische Analysen mit maschinellem Lernen, Informationsverarbeitung und algorithmischem Design. Dabei verstand sie Sprache nie als bloße Datenquelle, sondern als ein kulturell eingebettetes System mit sozialer Wirkung. Diese Haltung unterschied sie von vielen Technologen, die Sprache primär als Input für Trainingsdaten betrachten – eine Perspektive, die Bender entschieden kritisierte.

Spätestens mit der zunehmenden Relevanz von Sprachmodellen in der KI – etwa bei der Entwicklung von Systemen wie BERT, GPT oder T5 – wurde deutlich, wie zentral ihre Argumente sind. Benders Arbeit zeigte, dass Sprachtechnologie nicht im luftleeren Raum entsteht, sondern auf realen Annahmen über Welt, Gesellschaft und Mensch basiert. Die Frage, „auf welchen Daten wurde das System trainiert?“, wurde zum Kristallisationspunkt einer neuen, kritischen KI-Forschung.

Durch diese interdisziplinäre Öffnung wurde Emily M. Bender zu einer Schlüsselperson an der Schnittstelle von Human- und Computerwissenschaften – eine Position, die sie mit intellektueller Tiefe und ethischem Bewusstsein ausfüllte.

Hauptwerke und wissenschaftliche Beiträge

Das Bender Rule Paper: “On the Dangers of Stochastic Parrots”

Im Jahr 2021 veröffentlichte Emily M. Bender gemeinsam mit Timnit Gebru, Angelina McMillan-Major und Margaret Mitchell das mittlerweile wegweisende Paper “On the Dangers of Stochastic Parrots: Can Language Models Be Too Big?”. Der provokante Titel verweist auf die zentrale Metapher des Beitrags: großskalierte Sprachmodelle, wie sie heute von Tech-Konzernen eingesetzt werden, sind letztlich stochastische Papageien – sie wiederholen Muster, die sie aus gigantischen Textkorpora gelernt haben, ohne jegliches Verständnis oder Bewusstsein für Bedeutung.

Inhaltlich richtet sich die Kritik des Papiers gegen die unreflektierte Entwicklung immer größerer Sprachmodelle wie GPT-3 oder BERT, deren Trainingsprozesse und Anwendungskontexte intransparent, ressourcenintensiv und potenziell schädlich sind. Die Autorinnen identifizieren vier zentrale Problemfelder:

Datenethik und Verzerrungen

Die Daten, auf denen LLMs trainiert werden, stammen häufig aus dem offenen Internet und enthalten zahlreiche rassistische, sexistische, kolonialistische und anderweitig diskriminierende Inhalte. Da diese Datenmengen in der Regel ungefiltert und unkommentiert verwendet werden, besteht ein hohes Risiko, dass Sprachmodelle gesellschaftliche Vorurteile nicht nur reproduzieren, sondern sogar verstärken.

Reproduzierbarkeit und wissenschaftliche Integrität

Die Größe und Intransparenz moderner Sprachmodelle erschweren die wissenschaftliche Reproduzierbarkeit. Viele Modelle werden von Unternehmen wie OpenAI, Google oder Facebook hinter verschlossenen Türen trainiert, ohne offengelegte Architektur, Datensätze oder Trainingsprotokolle. Dies untergräbt wissenschaftliche Standards und verhindert demokratische Kontrolle.

Energieverbrauch und ökologische Kosten

Der Trainingsprozess großer Modelle ist mit einem enormen Energiebedarf verbunden. Schätzungen zufolge verursachte das Training eines einzelnen Modells wie GPT-3 mehrere hundert Tonnen CO₂-Emissionen. Damit rückt die ökologische Dimension der KI-Forschung in den Fokus, ein Aspekt, der bis dahin kaum Beachtung fand.

Fehlende Kontextualisierung und Bedeutung

Sprachmodelle operieren rein statistisch. Sie erzeugen Texte, die formal korrekt und oft verblüffend kohärent wirken – doch sie haben kein semantisches Verständnis. Die metaphorische Bezeichnung als „Papageien“ verweist darauf, dass es sich nicht um denkende Systeme handelt, sondern um algorithmisch trainierte Imitatoren.

Das Paper sorgte weltweit für Aufsehen, sowohl in der Forschungsgemeinschaft als auch in der breiteren Öffentlichkeit. Es führte zu intensiven Diskussionen über die ethischen Grundlagen der KI-Forschung und veranlasste viele Institute dazu, ihre eigenen Standards und Richtlinien zu überdenken. Gleichzeitig trug es zur Entstehung der sogenannten „Bender’s Rule“ bei – einem Leitsatz, der seither als Marker für kritische KI-Kompetenz gilt.

Beiträge zur sprachtypologischen Diversität in NLP

Ein zentrales Anliegen von Emily M. Bender ist die sprachtypologische Vielfalt. Während viele KI-Systeme auf dem Englischen basieren, warnt sie eindringlich vor den Folgen einer solchen „Englisch-Zentrierung“. Der Großteil der weltweit existierenden Sprachen bleibt in NLP-Forschung und -Entwicklung systematisch unterrepräsentiert. Dies führt nicht nur zu technischen Ungleichheiten, sondern auch zu einer digitalen Marginalisierung ganzer Kulturen.

In zahlreichen Artikeln und Konferenzbeiträgen plädiert Bender für eine kulturübergreifende, mehrsprachige Sprachmodellierung, die auch die strukturellen, grammatischen und semantischen Besonderheiten weniger dokumentierter Sprachen berücksichtigt. In ihrer Arbeit verweist sie beispielsweise darauf, dass viele Sprachen keine lineare Wortstellung wie im Englischen besitzen, unterschiedliche Kasussysteme nutzen oder völlig andere Konzepte von Tempus und Aspekt ausdrücken.

Die daraus resultierende Herausforderung ist nicht nur technischer Natur, sondern auch ethisch: Wenn NLP-Systeme vor allem auf „Hochressourcensprachen“ wie Englisch, Chinesisch oder Spanisch optimiert werden, riskieren wir, die sprachliche Diversität der Menschheit zu übergehen – mit allen Folgen für digitale Teilhabe, Informationsgerechtigkeit und kulturelle Identität.

Ein Beispiel für diesen Ansatz ist die Entwicklung sogenannter Data Statements – standardisierte Dokumentationen von Trainingsdaten, die Informationen über Sprache, Quelle, Zielgruppe und potenzielle Verzerrungen enthalten. Sie sollen helfen, sprachtypologische Unterschiede sichtbar zu machen und eine gerechtere Datenpraxis zu fördern.

Bender’s Rule: „Always ask what a system was trained on“

Im Zuge der Diskussion um Sprachmodelle und Ethik formulierte Emily M. Bender eine zentrale Erkenntnis, die als „Bender’s Rule“ in die Fachliteratur eingegangen ist:
Always ask what a system was trained on.

Dieser scheinbar einfache Satz hat sich als äußerst wirkmächtig erwiesen. Er bringt auf den Punkt, worum es bei der Bewertung von KI-Systemen eigentlich gehen sollte: die Herkunft, Qualität und Zusammensetzung der Trainingsdaten.

Denn Sprachmodelle lernen ausschließlich aus ihren Trainingsdaten. Diese Daten bestimmen, welche Sprache sie sprechen, welche Weltanschauungen sie reproduzieren und welche Ausschlüsse sie produzieren. Ohne eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Daten bleibt jedes Sprachmodell eine Blackbox – und birgt die Gefahr, unbewusste gesellschaftliche Verzerrungen algorithmisch zu verstetigen.

Bender’s Rule“ wurde in der NLP-Community vielfach aufgegriffen, zitiert und weiterentwickelt. Zahlreiche Forschungsprojekte integrierten seither systematische Dokumentationspraktiken, ethische Checklisten und Kontextanalysen in ihre Arbeit. Inzwischen ist der Satz zu einem Mantra kritischer KI-Forschung geworden – ein einfacher, aber tiefgründiger Prüfstein für Verantwortlichkeit und Reflexion.

Besonders bemerkenswert ist, wie stark diese Regel die Diskussionskultur verändert hat. Wo früher hauptsächlich über Modellarchitektur und Performance gesprochen wurde – etwa über die Verbesserung der Perplexity \(P = 2^{- \frac{1}{N} \sum_{i=1}^{N} \log_2 p(x_i)}\) – rücken nun Fragen nach Datenherkunft, gesellschaftlicher Wirkung und langfristiger Verantwortung in den Mittelpunkt.

Kritische Perspektiven auf Künstliche Intelligenz

Kritik an „KI-Hype“ und Anthropomorphisierung

Einer der markantesten Beiträge von Emily M. Bender zur KI-Debatte ist ihre scharfsinnige Kritik an der Anthropomorphisierung von Sprachmodellen. Immer wieder weist sie darauf hin, dass die öffentliche und mediale Darstellung von Systemen wie GPT-4, Claude oder Gemini häufig eine Illusion erzeugt: den Eindruck, es handle sich um denkende, verstehende Wesen. Tatsächlich jedoch beruhen diese Systeme auf statistischen Korrelationen, nicht auf semantischem Verständnis.

Große Sprachmodelle sind nicht intelligent im menschlichen Sinne. Sie analysieren keine Bedeutung, sondern berechnen die wahrscheinlichste nächste Zeichenfolge auf Basis der Eingabedaten. Wie Bender es formuliert: „They are not mind readers – they are pattern completers.“ Damit macht sie deutlich, dass es sich bei solchen Systemen nicht um Denkmaschinen handelt, sondern um probabilistische Textgeneratoren.

Die Unterscheidung zwischen Syntax und Semantik, zwischen Form und Inhalt, wird durch das beeindruckende Output solcher Systeme oft verwischt. Doch gerade darin liegt die Gefahr: Menschen neigen dazu, kohärenten Texten Bedeutung zu unterstellen – ein Phänomen, das in der kognitiven Psychologie als Elizitationseffekt bekannt ist. Bender fordert eine präzise Begriffsverwendung, um diese Verwechslung zu vermeiden.

In diesem Zusammenhang kritisiert sie auch den Begriff „Künstliche Intelligenz“ selbst. Sie argumentiert, dass dieser Ausdruck technologische Fähigkeiten romantisiert und falsche Erwartungen erzeugt. Stattdessen schlägt sie die Verwendung von Begriffen wie „automatisierte Sprachverarbeitung“ oder „statistische Textgenerierung“ vor – präzisere und weniger mythisch aufgeladene Bezeichnungen. Durch diese Begriffskritik öffnet sie den Raum für eine nüchternere, realistischere Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Möglichkeiten und Grenzen solcher Systeme.

Ethik, Verantwortung und Transparenz

Ein weiteres zentrales Anliegen von Emily M. Bender ist die ethische Verantwortung in der KI-Entwicklung. In zahlreichen Publikationen und Vorträgen fordert sie eine transparente, faire und rechenschaftspflichtige Gestaltung von Sprachsystemen. Dabei geht es ihr nicht nur um die Modellarchitektur oder Performanz, sondern um die sozialen und politischen Implikationen dieser Technologien.

Insbesondere warnt sie vor undokumentierten Trainingsdaten, intransparenten Evaluationsmetriken und der Praxis, Modelle als „neutral“ oder „objektiv“ darzustellen. In Wahrheit sind alle NLP-Systeme Produkte menschlicher Entscheidungen – von der Datenbeschaffung über das Vorverarbeiten bis zur Zielsetzung der Anwendung. Wer diese Entscheidungen trifft, hat Einfluss darauf, wessen Sprache, wessen Werte und wessen Interessen in den Modellen repräsentiert werden – und wessen nicht.

Zudem prangert sie die wachsende Dominanz großer Tech-Konzerne in der KI-Forschung an. Unternehmen wie Google, OpenAI, Meta oder Amazon verfügen über Datenmengen, Rechenleistung und Forschungsressourcen, die staatliche oder akademische Institutionen bei weitem übertreffen. Diese Machtasymmetrien führen zu einer Kommerzialisierung wissenschaftlicher Forschung, bei der ethische Bedenken oft hinter unternehmerischen Interessen zurückstehen.

Ein klassisches Beispiel für diese Dynamik ist der Fall rund um das Parrots-Paper: Google versuchte, die Veröffentlichung des Artikels zu verhindern, weil er unternehmensinterne Praktiken kritisierte. Dieser Vorfall markierte einen Wendepunkt in der Diskussion um wissenschaftliche Freiheit, Corporate Governance und die Notwendigkeit unabhängiger Forschung im Bereich KI.

Bender plädiert daher für institutionelle Mechanismen, die ethische Reflexion, externe Kontrolle und partizipative Entscheidungsprozesse in die KI-Entwicklung integrieren. Ohne solche Strukturen bestehe die Gefahr, dass Sprachmodelle zu Werkzeugen technokratischer Eliten werden – anstatt der Gesellschaft insgesamt zu dienen.

Sprachmodelle und gesellschaftliche Auswirkungen

Neben der technologischen und ethischen Perspektive thematisiert Emily M. Bender auch die sozialen Folgen von Sprachmodellen. Sie warnt eindringlich vor der unkritischen Einführung solcher Systeme in zentrale gesellschaftliche Bereiche wie Bildung, Justiz, Medien und Arbeitswelt.

Ein wesentliches Problem liegt in der Verbreitung von Desinformation. Da Sprachmodelle keinerlei Faktenverständnis besitzen, sondern lediglich auf statistischen Wahrscheinlichkeiten beruhen, können sie Inhalte generieren, die falsch, manipulativ oder irreführend sind – und dabei dennoch glaubwürdig wirken. In Zeiten wachsender Informationsunsicherheit kann dies fatale Folgen für den gesellschaftlichen Diskurs haben.

Ein weiteres Risiko betrifft die Verstärkung bestehender Diskriminierungen. Wenn Trainingsdaten rassistische, sexistische oder andere problematische Inhalte enthalten, können Sprachmodelle diese Vorurteile automatisiert reproduzieren. Dies geschieht nicht nur in expliziten Textausgaben, sondern auch subtil – etwa in der Gewichtung bestimmter Themen, in der Auswahl von Wortassoziationen oder bei der Konstruktion sprachlicher Stereotype.

Bender weist auch auf die potenziellen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hin. Automatisierte Sprachsysteme werden zunehmend in Callcentern, Redaktionsteams, Kundenservice und Übersetzungsdiensten eingesetzt – häufig ohne dass rechtliche oder ethische Rahmenbedingungen geklärt sind. Dies kann zu Prekarisierung, Qualitätsverlust und Verlust menschlicher Expertise führen.

Im Bildungsbereich sieht sie die Gefahr, dass Sprachmodelle als Ersatz für echtes Lernen eingesetzt werden – etwa, wenn Studierende Aufsätze durch Chatbots generieren lassen. Dies untergräbt nicht nur den Bildungsauftrag, sondern auch das kritische Denken selbst.

Insgesamt plädiert Bender für einen reflexiven Umgang mit KI: Sprachmodelle sind keine neutralen Werkzeuge, sondern gesellschaftlich wirksame Akteure. Ihre Gestaltung, ihr Einsatz und ihre Regulierung müssen daher in einem demokratischen, inklusiven und kritisch informierten Prozess erfolgen.

Einfluss auf Wissenschaft und Gesellschaft

Wissenschaftlicher Einfluss

Emily M. Benders Wirkung auf die wissenschaftliche Community – insbesondere im Bereich Natural Language Processing (NLP) – ist tiefgreifend und langfristig. Ihre Publikationen zählen heute zu den meistzitierten Arbeiten im interdisziplinären Feld zwischen Linguistik, Informatik und KI-Ethik. Besonders das Paper “On the Dangers of Stochastic Parrots” hat einen festen Platz im Kanon kritischer KI-Forschung eingenommen und wird regelmäßig in einschlägigen Journals, Konferenzbeiträgen und Lehrveranstaltungen diskutiert.

Die Zitierhäufigkeit ihrer Arbeiten in der ACL Anthology, auf Google Scholar oder Semantic Scholar verdeutlicht ihren wissenschaftlichen Impact. Allein das Parrots-Paper wurde innerhalb weniger Jahre mehrere tausend Male zitiert – ein außergewöhnlicher Wert in der sprachwissenschaftlichen Forschung. Aber auch frühere Beiträge, wie ihre Arbeiten zur sprachtypologischen Vielfalt und zu Data Statements, werden zunehmend aufgegriffen.

Noch bedeutsamer als diese quantitativen Indikatoren ist jedoch die Verankerung ihrer Konzepte in der Lehre. Begriffe wie „stochastische Papageien“, „Bender’s Rule“ oder „Data Documentation“ sind heute in vielen Master- und PhD-Programmen der KI, Computerlinguistik und Informationsethik fester Bestandteil. In Lehrplänen rund um Responsible AI, Algorithmic Fairness und Critical NLP sind Benders Texte häufig Pflichtlektüre.

Besonders bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass ihre Beiträge transdisziplinäre Wirkung entfalten: Nicht nur Informatiker und Linguistinnen, sondern auch Soziologen, Philosophinnen, Juristen und Medienwissenschaftler rezipieren ihre Argumente. Ihre Sprachkritik ist damit nicht auf ein Spezialfeld beschränkt, sondern durchdringt den gesamten wissenschaftlichen Diskurs über KI.

Einfluss auf Tech-Industrie und Governance

Emily M. Benders Kritik blieb nicht folgenlos – auch in der Industrie hat sie Spuren hinterlassen. Unternehmen wie OpenAI, Google, Meta oder Amazon sahen sich zunehmend gezwungen, auf Forderungen nach Transparenz, Fairness und Nachhaltigkeit zu reagieren, wie sie von Bender und anderen Ethikforscherinnen erhoben wurden.

So begannen große Konzerne damit, eigene KI-Ethik-Teams zu etablieren, interne Richtlinien zu formulieren und Policy Papers zu veröffentlichen, die auf die Herausforderungen der Sprachmodellierung eingehen. Auch wenn viele dieser Initiativen primär reputationsorientiert waren, zeigen sie dennoch, dass die industrieinterne Debatte durch Benders Beiträge wesentlich geprägt wurde.

Ein markantes Beispiel ist der Konflikt bei Google rund um das Parrots-Paper. Die Entlassung von Timnit Gebru und später Margaret Mitchell – beide Mitautorinnen – rief weltweit Kritik hervor. Bender stand in der Folge öffentlich hinter ihren Kolleginnen und artikulierte scharf, wie sehr wissenschaftliche Freiheit durch ökonomische Interessen gefährdet ist. Dieser Vorfall wurde zu einem Wendepunkt im Verhältnis zwischen Forschung und Industrie und führte zu einer verstärkten Forderung nach unabhängiger Governance in der KI.

Darüber hinaus war Bender an der Formulierung ethischer Leitlinien beteiligt, etwa im Rahmen von Konferenzen wie ACL, NAACL und der FAccT (Fairness, Accountability, and Transparency Conference). Sie berät Komitees, wirkt an Panels mit und bringt ihre Perspektiven in Policy-Diskussionen auf nationaler und internationaler Ebene ein.

Nicht zuletzt flossen ihre Konzepte auch in die Arbeit von Institutionen wie der UNESCO, der Europäischen Kommission und der OECD ein, die Standards für eine werteorientierte KI-Entwicklung definieren. Ihre Stimme ist damit nicht nur wissenschaftlich, sondern auch politisch hörbar geworden.

Medienpräsenz und öffentliche Kommunikation

Ein weiterer zentraler Aspekt von Benders Wirkung liegt in ihrer Fähigkeit, komplexe KI-Themen verständlich und prägnant für ein breites Publikum aufzubereiten. Ihre mediale Präsenz ist bemerkenswert – sowohl in Fachmedien als auch in überregionalen Publikationen. Interviews mit ihr erschienen unter anderem in der New York Times, MIT Technology Review, The Guardian, Wired und Der Spiegel.

In Podcasts wie Data Skeptic, Tech Won’t Save Us oder Hard Fork spricht sie über Sprachmodelle, Datenethik, Machtasymmetrien und die Frage, wie KI gestaltet werden muss, um menschlichen Werten zu dienen. Dabei zeichnet sie sich durch Klarheit, didaktische Kompetenz und eine respektvolle, aber entschiedene Kritikfähigkeit aus.

Ein besonderes Merkmal ihrer öffentlichen Kommunikation ist, dass sie technische Präzision mit gesellschaftlicher Relevanz verbindet. Statt in Fachjargon zu versinken, nutzt sie zugängliche Metaphern wie den „Papagei“, um Sachverhalte zu erklären – ohne dabei an inhaltlicher Tiefe zu verlieren. Ihre Fähigkeit zur diskursiven Vermittlung hat sie zu einer gefragten Referentin auf Konferenzen, Panels und in politischen Anhörungen gemacht.

Zudem nutzt sie soziale Medien, insbesondere Twitter/X, um sich in aktuelle Debatten einzuschalten, neue Forschung zu kommentieren und Missverständnisse rund um KI zu korrigieren. Ihre dort geteilten Gedanken werden regelmäßig zitiert, diskutiert und weiterverbreitet – auch weit über die akademische Community hinaus.

Emily M. Bender hat sich damit eine öffentliche Stimme geschaffen, die sowohl von Kolleginnen und Kollegen als auch von Journalistinnen, Aktivisten und Politikern geschätzt wird. In einer Zeit, in der technologische Entwicklungen oft schneller voranschreiten als gesellschaftliche Reflexion, ist diese Stimme wichtiger denn je.

Kontroversen und Rezeption

Debatte um das Parrots-Paper

Die Veröffentlichung des Papiers “On the Dangers of Stochastic Parrots” war nicht nur wissenschaftlich ein Meilenstein, sondern auch Auslöser eines der aufsehenerregendsten Konflikte innerhalb der KI-Forschungsgemeinschaft – mit globaler Resonanz. Im Zentrum stand die Frage, wie weit wirtschaftliche Interessen von Tech-Konzernen reichen dürfen, wenn sie in akademische Freiheiten und ethische Kritik eingreifen.

Ursprünglich war das Parrots-Paper zur Präsentation auf der Konferenz FAccT 2021 (Fairness, Accountability, and Transparency) angenommen worden. Doch noch bevor es veröffentlicht wurde, versuchte Google, wo zwei der Co-Autorinnen – Timnit Gebru und Margaret Mitchell – beschäftigt waren, die Publikation zu verhindern. Die offizielle Begründung: das Paper sei nicht mit den internen Richtlinien abgestimmt gewesen. Inoffiziell jedoch war klar, dass die Kritik an großskalierten Sprachmodellen und der mangelnden Transparenz direkt Google selbst betraf – insbesondere im Hinblick auf das unternehmensinterne Modell BERT und spätere Entwicklungen wie LaMDA.

Die Situation eskalierte, als Timnit Gebru aus dem Unternehmen entlassen wurde. Kurz darauf wurde auch Margaret Mitchell suspendiert. Diese Maßnahmen lösten einen öffentlichen Sturm der Entrüstung aus: Zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, darunter auch Emily M. Bender, kritisierten das Vorgehen scharf. Für Bender war der Vorfall exemplarisch für das Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Integrität und unternehmerischer Machtkontrolle.

In öffentlichen Stellungnahmen betonte sie, dass der Versuch, kritische Forschung zu unterdrücken, die Kernprinzipien akademischer Freiheit untergrabe. Sie stellte klar: Wer KI erforscht und gestaltet, trägt gesellschaftliche Verantwortung – und diese Verantwortung darf nicht dem Profit geopfert werden. Dabei betonte sie auch die Notwendigkeit, institutionelle Schutzmechanismen für Forscherinnen und Forscher einzuführen, die sich kritisch gegenüber dominanten Akteuren äußern.

Der sogenannte „Gebru-Mitchell-Fall“ wurde seither vielfach dokumentiert, analysiert und diskutiert – nicht nur in Fachkreisen, sondern auch in den internationalen Medien. Für viele Beobachter war dies der Moment, in dem ethische Fragen in der KI-Forschung nicht mehr ignoriert werden konnten. Emily M. Bender spielte in dieser Auseinandersetzung eine wichtige Rolle: als Autorin, Vermittlerin und öffentliche Intellektuelle, die sich konsequent für die Freiheit und Verantwortung der Wissenschaft einsetzte.

Reaktionen aus der Forschungsgemeinschaft

Die Reaktionen auf Benders Thesen und Veröffentlichungen in der wissenschaftlichen Community waren breit gefächert – von begeisterter Zustimmung über differenzierte Weiterentwicklungen bis hin zu offener Ablehnung.

Zahlreiche Forscherinnen und Forscher griffen ihre Kritik auf und entwickelten sie weiter – insbesondere im Bereich der kritischen NLP-Forschung. Neue Konzepte wie Data Documentation, Model Cards oder Ethical Model Audits wurden teilweise direkt von Benders Argumentation inspiriert. In vielen Forschungsprojekten wurden seither ethische Reflexionen und Kontextanalysen systematisch integriert – eine Praxis, die vor dem Parrots-Paper noch marginal war.

Einflussreiche Konferenzen wie ACL (Association for Computational Linguistics), EMNLP (Empirical Methods in Natural Language Processing) oder NeurIPS begannen, spezielle Tracks für Ethik, Fairness und Verantwortung einzuführen. Das wäre ohne den Druck durch Stimmen wie Bender kaum denkbar gewesen.

Gleichzeitig wurde Benders Kritik auch herausgefordert. Einige Vertreter technischer Richtungen argumentierten, dass die ethischen Anforderungen den Innovationsdruck bremsen oder Forschungsprozesse verlangsamen könnten. Insbesondere Befürworter von Open-Ended Language Models warfen Bender vor, die technische Potenzialentfaltung zu stark durch moralische Bedenken einzuschränken.

Doch auch diese Ablehnung war letztlich ein Zeichen ihrer Wirksamkeit – denn sie zeigte, dass Benders Argumente nicht ignoriert werden konnten. Ihre Beiträge zwangen die Community, sich zu positionieren, Haltung zu entwickeln und Begriffe wie Open Science, Datentransparenz oder Rechenschaftspflicht ernsthaft zu diskutieren.

Ein zentrales Spannungsfeld, das durch ihre Arbeit stärker in den Vordergrund trat, war die Frage: Wer kontrolliert die Datenbasis moderner KI? Hier wurde offenkundig, wie sehr sich Machtstrukturen in der Dateninfrastruktur niederschlagen – von der Auswahl der Texte über deren Verarbeitung bis zur Repräsentation sprachlicher und kultureller Identitäten.

Emily M. Benders Einfluss bestand somit nicht nur in inhaltlichen Beiträgen, sondern auch in ihrer Fähigkeit, die Konturen einer politisierten Wissenschaft sichtbar zu machen. Sie öffnete den Diskurs für strukturelle, soziale und ethische Fragestellungen, die heute als unverzichtbar für eine verantwortungsvolle KI-Forschung gelten.

Ausblick: Benders Vermächtnis in einer KI-gesteuerten Welt

Neue Generation von Sprachsystemen

Mit dem Aufstieg von generativen Sprachmodellen wie ChatGPT (OpenAI), Claude (Anthropic) und Gemini (Google DeepMind) ist die Künstliche Intelligenz in eine neue Phase eingetreten: eine Ära, in der KI nicht nur als Forschungswerkzeug, sondern als massenhaft eingesetzte Interaktionsplattform fungiert. Diese Systeme schreiben Texte, führen Gespräche, generieren Code, analysieren Meinungen – und das in nahezu allen Lebensbereichen.

In dieser Entwicklung erweist sich Emily M. Benders Kritik als prophetisch. Ihre Warnungen vor intransparenten Trainingsdaten, systemischer Verzerrung, semantischer Leere und gesellschaftlicher Wirkung sind im Zeitalter dieser „Supermodelle“ aktueller denn je. Während der mediale Diskurs sich oft auf Leistungsfähigkeit und Anwendungsszenarien konzentriert, erinnert Bender daran, dass technologische Potenz keine moralische Legitimation ersetzt.

Die zentrale Frage lautet daher: Wie gestalten wir Sprachmodelle der Zukunft? Werden sie lediglich leistungsstärker – oder auch verantwortungsvoller? Der Begriff „Responsible by Design“ gewinnt in diesem Kontext an Bedeutung. Benders Werk legt nahe, dass Ethik, Transparenz und soziale Inklusion nicht nachträglich als Add-ons implementiert werden dürfen, sondern von Anfang an als Gestaltungsprinzipien in die KI-Architektur integriert sein müssen.

Sie hat gezeigt, dass Systeme, die auf milliardenschweren Textkorpora trainiert wurden, ohne Kontextualisierung gefährlich verfälschen können. Die neue Generation von Sprachsystemen muss also nicht nur schneller und „intelligenter“ sein, sondern vor allem: reflektierter, kontrollierter und sozial eingebettet.

Zukunft der Sprachwissenschaft in der KI

Benders Arbeit wirft auch eine zentrale Frage für die Zukunft der Linguistik selbst auf: Welche Rolle spielt Sprachwissenschaft in einer Welt, in der Maschinen scheinbar Sprache „beherrschen“? Die Versuchung, Sprache als rein technisches Phänomen zu betrachten – als Mustererkennung, als Tokenstrom, als Vektorraummodell –, ist groß. Doch Bender betont: Sprache ist nicht bloß ein mathematisch kodierbarer Prozess, sondern ein soziales Handeln mit kultureller Verankerung.

Die Linguistik wird zur kritischen Instanz – nicht nur zur Zulieferin von Annotationen oder morphologischen Regeln, sondern zur Wächterin sprachlicher Vielfalt, semantischer Genauigkeit und kommunikativer Verantwortung. Sprachwissenschaft kann – und muss – dabei helfen, KI-Systeme nicht nur effizient, sondern gerecht, mehrsprachig und inklusiv zu gestalten.

Dazu gehört auch ein Plädoyer für marginalisierte Sprachen und Sprechergemeinschaften. Die linguistische Forschung, wie sie Bender versteht, ist eine Wissenschaft des Respekts: Sie erkennt die Gleichwertigkeit aller Sprachen an – unabhängig von Sprecherzahl, geopolitischer Bedeutung oder technischer Erfassbarkeit. In einer zunehmend KI-dominierten Welt ist diese Haltung essenziell.

Durch Benders Einsatz für dokumentarische Linguistik, Datenverantwortung und Typologie ist klar geworden, dass Sprachwissenschaft in der KI nicht ausgedient hat – im Gegenteil: Sie ist notwendiger denn je, um technologische Entwicklungen mit menschlicher Vielfalt zu verbinden.

Anregungen für Bildung, Forschung und Politik

Emily M. Benders Schriften enthalten nicht nur Analyse und Kritik, sondern auch klare Implikationen für Bildung, Wissenschaftspolitik und Governance. Eine ihrer zentralen Forderungen betrifft die Integration ethischer Reflexion in die MINT-Ausbildung. Informatikerinnen und Datenwissenschaftler sollen nicht nur Modelle programmieren, sondern verstehen, wie ihre Systeme soziale Strukturen beeinflussen.

In diesem Sinne plädiert sie für interdisziplinäre Curricula, die Technik mit Geistes- und Sozialwissenschaften verbinden. Kurse über algorithmische Verzerrung, Diskriminierung, Datenethik oder Machtverhältnisse in der digitalen Welt sollten ebenso selbstverständlich sein wie Mathematik oder Statistik. Der Satz „Always ask what a system was trained on“ könnte zum didaktischen Leitmotiv ganzer Studiengänge werden.

Auch für die Forschungspolitik ergeben sich klare Handlungsfelder. Förderprogramme sollten nicht nur Exzellenz in technischer Innovation belohnen, sondern gezielt Projekte unterstützen, die transparente, gerechte und nachhaltige KI-Entwicklung verfolgen. Peer-Review-Systeme müssen ethische Kriterien stärker berücksichtigen. Und die Evaluationskriterien von Forschungsarbeiten sollten neben Leistung und Genauigkeit auch gesellschaftliche Verantwortung reflektieren.

Nicht zuletzt richtet sich Benders Blick auf die politische Regulierung von KI. In einem Umfeld, in dem private Unternehmen über riesige Rechenressourcen und proprietäre Trainingsdaten verfügen, braucht es öffentliche Strukturen für Rechenschaftspflicht, Partizipation und Normensetzung. Sie fordert von Regierungen, internationale Standards für Transparenz und Datenzugang zu schaffen – und dabei auch Vertreter marginalisierter Gruppen zu beteiligen.

Kurzum: Benders Werk ist nicht nur eine Kritik an bestehenden Systemen, sondern ein Bauplan für eine gerechtere technologische Zukunft. Eine Zukunft, in der KI nicht über, sondern mit der Gesellschaft gestaltet wird.

Fazit

Emily M. Bender ist eine der prägendsten Stimmen im Diskurs über Künstliche Intelligenz, Sprachmodellierung und ethische Verantwortung. Ihre Karriere vereint wissenschaftliche Exzellenz mit gesellschaftlicher Wachsamkeit, technische Expertise mit humanistischer Perspektive. Als Linguistin, Kritikerin und Vordenkerin hat sie eine Debatte angestoßen, die heute mehr Relevanz denn je besitzt: die Frage, wie Technologie gestaltet sein muss, um menschliche Werte zu bewahren – und nicht zu unterlaufen.

Von ihren frühen Arbeiten zur sprachtypologischen Diversität über die institutionelle Etablierung des Linguistic Typology Lab bis hin zur Mitautorschaft des bahnbrechenden Parrots-Papers hat sie immer wieder neue Maßstäbe gesetzt. Sie hat Begriffe wie Bender’s Rule, stochastische Papageien und Data Statements geprägt und in die DNA der modernen KI-Debatte eingeschrieben.

Dabei ging es ihr nie um bloße Kritik – sondern um Verantwortung. Sie fordert Transparenz statt Blackboxen, Rechenschaft statt technischer Hybris, sprachliche Vielfalt statt monolingualer Dominanz. In ihrer Arbeit verschmelzen sprachwissenschaftliche Präzision, ethische Wachsamkeit und ein scharfer analytischer Blick auf Machtverhältnisse.

Als wissenschaftliches Gewissen im KI-Zeitalter steht Emily M. Bender für eine Haltung, die im digitalen Fortschritt nicht nur Potenzial, sondern auch Verpflichtung sieht. Sie fordert uns auf, nicht nur zu fragen, was möglich ist, sondern was gerecht ist. Nicht nur, wie gut ein Modell performt, sondern wem es nützt – und wem es schadet.

Ihr Vermächtnis liegt nicht nur in ihren Texten und Theorien, sondern in der Veränderung der Diskussionskultur. Sie hat die KI-Community gelehrt, genauer hinzusehen, kritischer zu fragen, verantwortlicher zu denken. In einer Welt, in der Algorithmen längst mitbestimmen, wie wir kommunizieren, lernen, arbeiten und leben, ist das von unschätzbarem Wert.

Der Schluss dieses Essays bleibt bewusst offen – denn Emily M. Benders Arbeit ist nicht abgeschlossen. Im Gegenteil: Sie ruft uns auf, weiterzudenken, weiterzuforschen, weiter zu gestalten. Ihre Botschaft an die KI-Community ist klar: “Wer Sprachsysteme entwickelt, entscheidet mit über die Zukunft menschlicher Kommunikation. Und damit über nichts Geringeres als den Zustand unserer Gesellschaft“.

Mit freundlichen Grüßen
J.O. Schneppat


Referenzen

Wissenschaftliche Zeitschriften und Artikel

  • Bender, E. M., & Friedman, B. (2018). Data Statements for Natural Language Processing: Toward Mitigating System Bias and Enabling Better Science. Transactions of the Association for Computational Linguistics, 6, 587–604.
  • Bender, E. M., Gebru, T., McMillan-Major, A., & Mitchell, M. (2021). On the Dangers of Stochastic Parrots: Can Language Models Be Too Big? In Proceedings of the 2021 ACM Conference on Fairness, Accountability, and Transparency (FAccT).
  • Mitchell, M., Wu, S., Zaldivar, A., Barnes, P., Vasserman, L., Hutchinson, B., … & Gebru, T. (2019). Model Cards for Model Reporting. In Proceedings of the Conference on Fairness, Accountability, and Transparency.
  • Blodgett, S. L., Barocas, S., Daumé III, H., & Wallach, H. (2020). Language (Technology) is Power: A Critical Survey of “Bias” in NLP. In Proceedings of ACL 2020.

Bücher und Monographien

  • Bender, E. M. (2013). Linguistic Fundamentals for Natural Language Processing: 100 Essentials from Morphology and Syntax. Morgan & Claypool.
  • Bender, E. M., & Lascarides, A. (2021). Meaning and Grammar: An Introduction to Semantics. In Vorbereitung.
  • Russell, S., & Norvig, P. (2020). Artificial Intelligence: A Modern Approach (4. Auflage). Pearson.
  • Crawford, K. (2021). Atlas of AI: Power, Politics, and the Planetary Costs of Artificial Intelligence. Yale University Press.

Online-Ressourcen und Datenbanken

Anhänge

Glossar der Begriffe

  • Stochastische Papageien
    Sprachmodelle, die ohne semantisches Verständnis lediglich Wahrscheinlichkeiten für Textsequenzen berechnen und reproduzieren.
  • Bender’s Rule
    Leitsatz: „Always ask what a system was trained on“ – betont die Bedeutung der Trainingsdatenherkunft für die Bewertung von KI-Systemen.
  • Data Statements
    Strukturierte Dokumentationen über Herkunft, Eigenschaften und potenzielle Verzerrungen von Sprachdaten, um Transparenz zu fördern.
  • NLP (Natural Language Processing)
    Teilgebiet der KI, das sich mit der automatisierten Verarbeitung, Analyse und Erzeugung natürlicher Sprache befasst.
  • Linguistische Typologie
    Systematische Klassifikation und Vergleich von Sprachen nach grammatischen und strukturellen Merkmalen.
  • Model Cards
    Dokumente, die technische Eigenschaften, Training, Anwendungsgrenzen und Risiken von ML-Modellen beschreiben.
  • Ethical AI / Responsible AI
    Forschungsrichtung, die sich mit den moralischen, sozialen und politischen Implikationen algorithmischer Systeme befasst.

Zusätzliche Ressourcen und Lesematerial

  • Video: Emily Bender on AI Ethics and Linguistics – YouTube-Vortrag bei „Lex Fridman Podcast“ (Folge 241)
  • Essay: The #BenderRule and Why NLP Needs More Linguistics – Blogbeitrag von A. Joelle Pineau, 2022
  • Interview: “Why Computers Still Don’t Understand Language”The New Yorker, Oktober 2023
  • Buchkapitel: Language Technology and Power Structures in „The Cambridge Handbook of Responsible AI“, 2024
  • Plattform: Data & Society Institute – Forschungsnetzwerk zu technologischem Wandel und gesellschaftlichen Auswirkungen

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